Durch die Französische Revolution Ende des 18. Jahrhunderts und ihre Folgen war das Leben für die Menschen in Europa freier geworden. Das Zeitalter der Technik und Industrie hatte begonnen. Die von alters her gewohnte Lebensweise der Menschen änderte sich vollkommen.
Die ersten katholischen Gesellenvereine wurden von Handwerksgesellen 1846 in Elberfeld ins Leben gerufen. Adolf Kolping gründete 1849 in Köln den Gesellenverein, der sich zu einer weltweiten Organisation entwickelte, der nicht nur auf wandernde Handwerksgesellen ausgerichtet war, sondern auch die jungen Männer ansprach, die in der Heimat Arbeit gefunden hatten. Durch die gewonnene Freiheit und einen -teils- ungeordneten Lebenswandel war es für einen jungen Mann mitunter nicht einfach, sich in das dörfliche Leben einzuordnen. Um diesem zu entgehen, gründeten junge Männer ab dem 21. Lebensjahr Vereine mit Disziplin, die der dörflichen Gemeinschaft dienlich waren und nannten sich Junggesellenverein, in Siegburg-Mülldorf mit dem Zusatz "Eintracht".
Der Verein hat den Zweck, durch gemütliche Zusammenkunft alle Unordnungen und Rohheiten zu bekämpfen, Ordnung unter den Junggesellen zu pflegen und anzustreben. - So schrieben es sich die Mülldorfer Junggesellen bei der Gründung 1885 in die Statuten. - Die Aufnahme geschieht durch geheime Abstimmung des Vereins. Bei Stimmengleichheit entscheidet das Los. - ist unter anderem in den Statuten zu lesen, die sich ca. 30 junge Männer gaben. Am ersten Montag im Monat, später Samstag, war eine Versammlung im Vereinslokal angesetzt, bei der in gemütlicher Runde die Erlebnisse der vergangenen Wochen ausgetauscht wurden. Natürlich durfte der Vereinspokal, ein gläserner Stiefel von 2 Litern Inhalt, gefüllt mit Gerstensaft (Bier), nicht fehlen. Bei Gesang und Erzählungen machte der Stiefel die Runden, und wohl dem, der den Fuß des Stiefels lehren musste und die Spitze des Schuhs nicht nach unten hielt, der musste eine neue Füllung des Stiefels spendieren.
Das Fähndel, eine Fahne mit halbierter Fahnenstange und leichtem quadratischem Tuch, auf dem der Vereinsname, der Herkunftsort und das Gründungs- und Anschaffungsjahr in einem Fantasiebild aufgedruckt waren, war das wichtigste Requisit eines Junggesellenvereins. Dazu gehörte der Fähnrich, gekleidet mit einer fantasieuniform mit flacher Kappe. Musikalisch, mit guter Figur, musste mit einer Hand das Fähndel nach uralter Melodie, in einem Kreis oder auf einem Bierfass stehend, mit Pflicht- und Kunstschwüngen so bewegt werden, dass das Tuch den Boden nicht berührte und sich nicht auf der halbierten Fahnenstange aufrollte. Mit Junggesellenvereinen der näheren und weiteren Umgebung stellten sich die Fähnriche im Wettstreit: Ein Festtag für den ganzen Ort, dem ein Festzug mit vielen auswärtigen Junggesellenvereinen, die fahnenschwenkend durch die Straßen zogen, vorausging. Im Monat Mai ruhte das Vereinsleben zugunsten des jährlich neu gegründeten Maiklubs.
Ein Höhepunkt im Jahreskreis war das kirchliche Patronatsfest, die Kirmes, an dem der Kirmeskerl (Paias), eine lebensgroße, bekleidete Strohpuppe für sämtliche Schandtaten im Ort verantwortlich gemacht wurde. Kirmesmontag fuhr man ihn auf einer Schubkarre liegend durch die Straßen des Ortes. Mit Musikbegleitung und Fähndelschwenkend animierte man die Dorfbewohner, ein Schärflein für die Gerichtsverhandlung zu Verurteilung des Kirmeskerl zu spendieren. Aufgrund seiner dörflichen Untaten verbrannte man ihn Kirmesdienstag im Hof des Vereinslokals unter reger Beteiligung der Bevölkerung.
Verabschiedete sich durch Heirat ein Mädchen oder Vereinsmitglied von der Dorfjugend, war für den Junggesellenverein das "Hilich-Holen" angesagt, das bei den Hochzeitsfeierlichkeiten am Hochzeitstag erfolgte. Eine Entschädigung für die Verheiratung der "Dorfschönen" verlangten die Junggesellen mit dem "Hilich-Spruch". Die Brautleute taten Abbitte unter dem Fähndel, das von vier Junggesellen gehalten wurde, und versprachen, ...- zehn Koliner an Geld oder 40 Krontaler, soviel Schinken und Braten, wie der schwerste Tisch tragen kann, soviel Bier, Wein und Branntwein die sieben Mühlräder rund treiben. - Die Junggesellen bedankten sich mit alten und neuen Volksliedern und wünschten den vermählten reichen Kindersegen. Um 1970 hatte sich die Technik und die Lebensweise der Menschen wiederum so verändert, dass der Junggesellenverein "Eintracht" sich wegen Desinteresse auflöste.
- Heinz Daufenbach im Jahre 1994 -